Der Familienrat

Der Familienrat ist ein wunderbares und wichtiges Ritual für eine gute Kommunikation miteinander und um Dinge anzusprechen, die dir auf dem Herzen liegen. Gleichzeitig lernen unsere Kinder viel über Konfliktlösung.

 

Wie läuft ein Familienrat ab?

 

Ich empfehle, sich dafür einmal pro Woche Zeit zu nehmen, an einem Tag, an dem alle Familienmitglieder ohne Termindruck teilnehmen können. Für viele Familien eignet sich das Wochenende am besten. Ein guter Zeitpunkt ist zum Beispiel nach dem Essen (z.B. Mittag), wenn alle satt sind und bereit, den anderen Aufmerksamkeit zu schenken. Bei kleineren Kindern ist nach dem Mittagschlaf ein geeigneter Moment.

 

Wie bei allen Ritualen ist es hilfreich, eine feste Reihenfolge einzuhalten. In meiner Praxis hat sich folgender Ablauf bewährt:

 

1. Alle setzen sich auf Augenhöhe zueinander, bequem auf den Boden oder an einen Tisch, so dass sich jede*r gut sehen kann. Handys werden ausgeschaltet, Radio, TV etc. ebenfalls, Spielsachen aus Reichweite entfernt, damit niemand abgelenkt wird. 

 

2. Eröffnung des Familienrates durch kurze Begrüßung wie z.B. „Herzlich willkommen zu unserem Familienrat, schön, dass wir alle da sind“. Ich kenne Familien, die sich einen kleinen Gong angeschafft haben und diesen zu Anfang und Ende benutzen, andere spielen immer eine kleine Melodie oder singen ein kurzes Lied zu Beginn und Ende. Das ist natürlich kein Muss sondern eine nette Geste, es soll zu euch passen und ihr sollt euch damit wohl fühlen.

 

3. Zu Beginn immer wieder kurz die Grundregeln des Rates durchgehen, wichtig sowohl bei kleinen als auch größeren Kindern und auch für die Eltern zur Erinnerung. Diese wichtige Aufgabe kann auch gern den Kindern (abwechselnd oder gemeinsam) übertragen werden.

 

4. Regeln: 

- Wir sprechen nacheinander und lassen uns gegenseitig ausreden

- Wir sprechen respektvoll miteinander

- Wir respektieren die Meinung und Sichtweise der anderen, vor allem dann, wenn wir eine andere Meinung haben. Denn jede Meinung ist richtig und niemand ist falsch. 

- Wir bewerten nicht die Aussagen der anderen sondern hören sie uns aufmerksam an und fragen nach, wenn wir etwas nicht richtig verstanden haben

- Wir verteidigen uns nicht sondern hören zu und überlegen was wir tun möchten, damit sich die Situation für den anderen verbessert

- Wir zeigen Mitgefühl für jeden

 

5. Wenn die Regeln klar sind folgt der Familienrat immer einem festen Ablauf:

 

5.1. Wie es mir gerade geht: jede*r erzählt nacheinander, wie es ihr*ihm geht. Ihr könnt immer eine feste Reihenfolge benutzen oder es fängt immer jemand anders an, wie ihr mögt. Stellt nur dabei sicher, dass niemand vergessen wird. Ziel ist hier, dass wir mehr von uns preisgeben als „mir geht es gut“ oder „mir geht es schlecht“ und versuchen zu beschreiben, welche Gefühle wir wahrnehmen. Ein paar Beispiele: Ich bin „gerade etwas müde“; „ein bisschen aufgeregt, weil ich etwas Wichtiges sagen möchte“; „fröhlich, weil wir alle zusammen sitzen“. Wir lernen dadurch, in uns hinein zu spüren und geben gleichzeitig den anderen einen wichtigen Einblick und zeigen uns authentisch. 

 

5.2. Was mich beschäftigt: Hier ist der Raum anzusprechen, was dir auf dem Herzen liegt. Gibt es einen Konflikt mit einem Familienmitglied? Gibt es etwas, was dich stört? Gibt es etwas, womit du unglücklich bist? Raus damit! Versuche dich darauf zu konzentrieren, was gerade am wichtigsten für dich ist, falls es mehrere Dinge sind. Man kann nicht in einer Sitzung alles angehen und man kann nicht alles auf einmal verbessern, jedes Thema braucht Zeit und Aufmerksamkeit. Und dafür tagt der Rat ja jede Woche, damit alles nach und nach dran kommt.

 

Bei der Sprache verwenden wir immer die Ich-Form, zum Beispiel.: „Ich bin unglücklich, weil ich euch (Namen nennen) oft streiten sehe und das tut mir weh, weil ich euch beide lieb habe und am liebsten hätte, dass ihr euch weniger streitet“; „Es verletzt mich, wenn A (Name) xy (was gesagt wird) zu mir sagt“; „Ich bin morgens immer sehr gestresst, weil wir große Mühe haben, pünktlich los zu kommen“ „Ich fühle mich allein mit dem Haushalt“ „Ich wünsche mir mehr Zeit für mich im Alltag“ „Ich mag es nicht, wenn A (Name) mit mir schimpft“ usw. ...

 

Jede*r sagt, was sie*ihn gerade beschäftigt, nacheinander, die anderen hören nur zu, keine*r kommentiert, bewertet oder verteidigt sich in dieser Runde. Die Eltern unterstützen hier die Kinder, indem sie bei Bedarf an die Regeln erinnern. Oder andersherum ;-)

 

5.3. Was ich brauche: Nun versucht jede*r so gut es geht zu formulieren, was ihr*ihm helfen könnte, damit das vor genannte Problem kleiner wird. Auch wieder in Ich-Sätzen, diesmal darf es an die betreffende Person gerichtet sein. Zum Beispiel: „Es würde mir helfen zu verstehen, warum ihr euch so heftig streitet.“; „Ich wünsche mir, dass du mir erklärst, was du damit meinst, wenn du xy zu mir sagst“ „Ich brauche morgens mehr Ruhe und einen Plan, damit wir ohne Stress aus dem Haus kommen“; „Ich brauche mehr Hilfe im Haushalt, vor allem bei den und den Tätigkeiten“; „Ich möchte jeden Tag eine halbe Stunde nur für mich haben, in der ich nicht gestört werde“; „Ich möchte, dass du nicht mit mir schimpfst sondern mir ruhig sagst, was dich gerade stört“

 

Hier sagt jede*r nacheinander, was sie*er braucht und was ihr*ihm helfen würde. Auch in dieser Runde wird wieder nur zugehört, nicht kommentiert, nicht bewertet oder sich verteidigt.

 

5.4. Was ich tun möchte: Nun haben wir gehört, was in jeder*m vorgeht und was sie oder er von uns braucht. Wir überlegen also, was wir tun können, um die anderen zu unterstützen. Jede*r ist nacheinander dran zu sagen, was sie*er bereit ist, zu tun. Wenn ich  vorher direkt angesprochen wurde kann ich nun darauf eingehen: „Ich meine dies und jenes damit, wenn ich xy zu dir sage. Da es dich verletzt möchte ich gern versuchen, es zukünftig anders zu formulieren. Falls mir das nicht sofort gelingt, dann sag es mir gern direkt in dem Moment, damit ich es merke“ „Ich kann mich morgens künftig allein anziehen und mir die Zähne putzen, damit du das nicht mehr machen musst und weniger Stress hast“ „Ich möchte dir gern eine halbe Stunde am Tag Ruhe schenken und beschäftige mich dann allein, vielleicht mit einem Hörspiel“  - Ja, Kinder sagen das tatsächlich von allein ab einem gewissen Alter, denn sie möchten immer kooperieren und wünschen sich, dass es uns Eltern gut geht. Wenn sie noch zu klein sind, um so einen Satz zu formulieren, können die Eltern in dieser Runde die Kinder unterstützen und fragen, ob sie sich vorstellen können, dies oder jenes künftig so oder so zu machen. Auch das klappt in der Regel sehr gut. Natürlich sollte die Aufgabe alters- und entwicklungsgerecht sein. 

 

Wichtig: wir brauchen alle Geduld und Zeit, um neue Verhaltensweisen umzusetzen. Wenn eine neue Maßnahme also nicht gleich auf Anhieb klappt ist das völlig normal, wir haben es ja schließlich lange anders gemacht und müssen uns erst daran gewöhnen. Wirklich hilfreich ist hierbei zu wissen, dass es der*m anderen dabei nicht gut geht, denn das motiviert uns sehr, etwas zu ändern. 

 

Streicht Sätze wie „Jetzt tust du das ja trotzdem schon wieder, obwohl wir beim Familienrat etwas anderes vereinbart haben“ aus dem Wortschatz, denn Vorwürfe helfen nicht bei einer Veränderung. Freut euch stattdessen, dass der andere verstanden hat, was euch stört und bereit ist, es zu ändern und habt Verständnis, dass es nicht sofort klappt. Sagt stattdessen lieber „Oh, jetzt haben wir diese Situation und verhalten uns so wie immer, spürst du das auch? Wollen wir es jetzt anders versuchen?“

 

Selbst für die eigene Reflexion in dem konkreten Moment braucht es viel Übung. Seid gnädig, wenn ihr erst einmal genauso reagiert wie immer. Es hilft bereits, es im Nachgang wahrzunehmen und dann anzusprechen: „Ich habe vorhin wieder xy gemacht, das hast du auch gemerkt, oder? Es ist schwer für mich, das zu ändern aber ich möchte es weiterhin versuchen und bin gespannt, ob es beim nächsten Mal besser klappt. Wenn ich dich gerade verletzt habe, tut mir das leid.“

 

In diesem Moment oder danach zu reflektieren und die*den anderen an seinen Gedanken teilhaben zu lassen, stärkt unsere Beziehung zu einander enorm, denn dadurch sieht und hört unser Gegenüber, dass es uns wirklich wichtig ist und fühlt sich ernst genommen.

 

5.5. Wertschätzungsrunde: In dieser letzten Runde ist jede*r eingeladen zu sagen, was sie oder er toll findet. Was war in der letzten Woche besonders schön, was klappt schon besser als vorher, was gefällt euch aneinander usw. Alles, was uns als Familie stärkt, darf jetzt gesagt werden. Auch wieder in Ich-Sätzen, wieder jede*r nacheinander. Hier dürfen auch mehrere Sachen gesagt werden.

 

5.6. Abschluss: Bedankt euch gegenseitig beieinander für eure Offenheit, euer Vertrauen und eure Bereitschaft, etwas zu verändern, damit es euch als Familie gemeinsam besser geht. Vielleicht genau mit diesen Worten, die entweder von einem Elternteil bei kleineren Kindern oder bei größeren Kindern von jedem Familienmitglied bei jedem Treffen abwechselnd gesagt werden: „Ich danke euch und mir selbst, dass wir uns vertrauen, uns sagen was wir voneinander brauchen und gemeinsam etwas verändern möchten, damit es uns als Familie besser geht und wir gemeinsam gut zusammenleben. Danke!“

 

Rund um das Ritual dürft ihr natürlich in Gestaltung völlig frei sein, macht es euch so angenehm und gemütlich, wie ihr mögt. Wenn es hilft könnt ihr euch natürlich auch Notizen machen, eine Tafel oder ein Whiteboard benutzen, wenn vorhanden, oder zB die Regeln gemeinsam aufschreiben oder aufmalen und immer zum Ritual vorlegen. 

 

Räumt euch wöchentlich dafür Zeit ein, damit es zu einem festen Familienritual werden kann. Denkt daran, dass ihr als Familie einzigartig seid. Es gibt kein richtig oder falsch in Bezug auf die Themen oder euren Fortschritt. Themen dürfen sich wiederholen, Fehler sind immer willkommen weil wir daraus lernen und ihr geht in eurem Tempo als Familie gemeinsam, damit niemand zurückbleibt. 

 

Viel Freude bei eurem Familienrat!

 

Bei Fragen dazu kontaktiert mich sehr gern.